Synopsis
Les Sons des Sous, eine Produktion von Uli Aumüller und Martin Daske für die Sendereihe “Radiotop” des SR, erzählt zwei Geschichten zur gleichen Zeit, oder besser gesagt: während im Vordergrund die eine Geschichte zu hören ist, läuft im Hintergrund eine zweite Geschichte, die aus der ersten hervorgegangen ist.Der Vordergrund ist eigentlich “nur” ein Interview, ein Gespräch mit dem Börsenbuchautoren Dr. Bernd Niquet, über seine jüngste Publikation “Der Crash der Theorien”. Das Gespräch holt zunächst etwas weiter aus, beschäftigt sich mit den Grundlagen der Börse: Warum steigen die Kurse, warum sinken sie, wer hat welche Vorteile von steigenden Kursen und warum müssen Aktiengesellschaften immer höhere Gewinne erwirtschaften. Dann geht es um die zentralen Fragen des Buches: Warum müssen Theorien, die die Entwicklungen der Börsenkurse vorherbestimmen wollen, notwendiger Weise crashen? Und schließlich: Warum kann man trotz aller Unwägbarkeiten von einem steten alljährlichen Durchschnittswachstum der Börsentitel von mind. 7 Prozent ausgehen?
Auf all diese Fragen versucht Dr. Bernd Niquet plausible, und für den Laien nachvollziehbare Antworten zu geben, eine knappe Stunde lang, immer auf der Grundlage strenger wirtschaftsanalytischer Argumente, bis er gegen Schluß diesen Pfad der rationalen Tugend einen Augenblick lang verläßt: Um eine Vision, eine Utopie auszumalen, wohin sich unsere Gesellschaft mit dieser Art des Wirtschaftens seiner Meinung nach entwickeln wird. Und auch diese Vision ist nicht aus den Wolken gegriffen, erscheint logisch und konsequent.
Den Autoren schien sich in dieser utopischen Passage ein Verdacht zu bestätigen, den ein berühmter Soziologe rund 70 Jahre zuvor auch schon entwickelt hatte: Max Weber in seinem berühmten Aufsatz über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus. Sind also nicht häufig genug gerade dann, wenn sich der Rationalismus am kristallinsten ausprägt (im Falle von Bernd Niquet ist es der Traum eines Lebens unter Glaskuppeln, entrückt von aller Natur), die Wirkungen andere Kräfte nachweisbar, Mythologien, religiöse Strukturen. Sind also - frei nach Max Weber - steigende Aktienkurse auch als göttliche Gnadenbeweise lesbar, die tägliche Kontingenz als ein Zeichen menschlicher Fehlbarkeit, das Urteil des Marktes die Immanenz der Transzendenz? Die Börse und ihr Umfeld nichts anderes als eine Gemeinde, die sich sogestalt strukturiert hat, daß sie sich ihren alljährlichen (durchschnittlichen) göttlichen Gnadenbeweis garantieren kann. Sind Börsenbarometer subkutan Himmelsleitern? Und sind die Börsianer getrieben von der Hoffnung, irgendwann aus den diesseitigen Gefilden abzuheben in himmlische - oder wie in diesem Fall: zumindest schon mal gläserne Sphären?
Es lassen sich für diesen Annahmen (die die meisten Börsianer wahrscheinlich brüskiert von sich weisen würden) sicherlich einige plausible Gründe finden, aber Uli Aumüller und Martin Daske haben sich gedacht, ihren Kommentar zu diesem Gespräch über die Börse einem anderen Medium anzuvertrauen, als einen weiteren Text über einen Text zu schreiben. Sie komponierten eine Musik, die dem Interview von Anfang bis Ende unterlegt ist. Und diese Musik ist eine Art von Himmelsleiter, mit einem gewissen Humor, denn sie steigt auf von Unterwassergeräuschen über Verkehrslärm bis hin zu Nonnengesang und vielstimmigen Kanons aus Vogelgezwitscher. Sie nutzt Zufallsprogramme für die alltäglichen Turbulenzen, sie läßt komplexe Gedankengänge ab und zu mal in “Sprachwolken” untergehen. Und die Musik folgt wie eine Fieberkurve mit gelegentlichen Crashs der wachsenden Euphorie des Börsenfachmanns, bis sie an ihrem Höhepunkt bei der globalen Gefräßigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsform angelangt ist, und dann - ja und dann bleibt es stehen in einer unbewegten, grellen Klangfläche, unbelebt und glasklar, in einer anderen Sphäre eben, einer über- oder unmenschlichen.