Der Dokumentarfilm Zustand und Gelände handelt von der Fragilität zivilisatorischer Strukturen, die im Verlauf einer räumlichen Spurensuche sichtbar wird. Ausgangspunkt des Films sind sogenannte wilde Konzentrationslager, die unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ab März 1933 zur Ausschaltung politischer Gegner eingerichtet wurden. Häftlinge waren Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, auch kritische Journalisten, Juristen und Schriftsteller. In Sachsen war die Anzahl dieser frühen Lager besonders groß, da das Land aufgrund seiner starken Industrialisierung eine Hochburg der Arbeiterbewegung war. Die Lager zeigen schon alle Merkmale der späteren Konzentrationslager: Willkür, Misshandlungen, Folter und Mord. Heute sind sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Sie wurden nicht wie die späteren Vernichtungslager zu Gedenkstätten umgebaut, sondern wieder alltäglich genutzt. Die spontan besetzten Volkshäuser, Arbeitersporthallen, Kasernen und Fabrikanlagen sind teilweise noch vorhanden, mancherorts sind es jetzt Gaststätten und Discounter oder einfach Brachen, die harmlos und austauschbar scheinen. Zustand und Gelände handelt von den Überschreibungen der Orte durch die Zeit und davon, wie sich unterschiedliche politische Erinnerungskulturen in sie eingeschrieben haben. Zu den Filmaufnahmen, die ein heutiges Sachsen vergegenwärtigen, zitiert der eingesprochene Text verschiedene Quellen: einerseits Verwaltungsakten, wie etwa Haussuchungen, Verhaftungen, Verhöre, Beschlagnahmen und andererseits Berichte von ehemaligen Gefangenen, Zeitungsmeldungen und literarische Texte. Bild und Text kommentieren sich gegenseitig und spannen ein Netz zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Aus den verschiedenen Perspektiven und Zeitschichten formt sich eine lose Erzählung, die Geschichte einer Eskalation, in der Gewalt zur Durchsetzung von Macht eine wesentliche Rolle spielt. (Ute Adamczewski)
2022 Jury Begründung DEUTSCHE FILMKRITIK Bester Dokumentarfilm „Zustand und Gelände“ von Ute Adamczewski Die Kamera fährt, schwenkt, blickt unbewegt auf sächsische Ortschaften, Fassaden, Parkplätze, Straßenbegrenzungen. Oberflächlich ist der Zivilisationsbruch nicht zu sehen. Eine autarke, komplett postproduktiv gebaute Tonebene erzählt mit wechselnden Perspektiven von den sogenannten „wilden Konzentrationslagern“, in denen 1933 die politische Opposition zum Schweigen gebracht wurde. Ute Adamczewskis Suche nach den Orten, die davon erzählen könnten, es aber nicht tun, führt in Bilder hinein, die nichts mit den archivierten Ikonografien von Lagern und Gewaltherrschaft zu tun zu haben scheinen: Turnhallen, Fabrikgebäude, Schützenhallen, Gaststätten oder ein unscharf erinnerndes DDR-Mahnmal, das nach 1989 für einen Supermarkt versetzt wurde. Was sie mit den Aufzeichnungen über die jähen Anpassungen von Justiz, Polizei und Verwaltungen an die jeweilige politische Ordnung zu tun haben könnten, rückt hier, wie Alejandro Bachmann Ute Adamczewskis Methode beschrieben hat, den Erfahrungsort des Kinos in unsere Nähe. Dort vermitteln sie beunruhigende Gewissheiten: Zivilisation ist brüchig, Geschichte wird interpretiert und Erinnerung überarbeitet.
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